Michael Walzer hat in seinem Gespräch mit Ulrich Speck „Über linke Israel-Kritik“
(in: Rabinovici/Speck/Sznaider „Neuer Antisemitismus?“) den Zusammenhang von Antizionismus mit linker Ablehnung des nationalstaatlichen Konzeptes, dessen Scheitern und dem innewohnenden Antisemitismus im linken Antizionismus aufzeigt...
von BARBARA SERLOTH
Michael Walzer hat in seinem Gespräch mit Ulrich Speck „Über linke Israel-Kritik“
(in: Rabinovici/Speck/Sznaider „Neuer Antisemitismus?“) den Zusammenhang von Antizionismus mit linker Ablehnung des nationalstaatlichen Konzeptes, dessen Scheitern und dem innewohnenden Antisemitismus im linken Antizionismus aufzeigt. Indem sich der Antizionismus auf die Abschaffung des Nationalstaates beziehe, fragt Walzer, ob nicht der falsche Staat ins Zentrum dieses Bestrebens gestellt werde und sich darin nicht eine „spezifische Abneigung gegen jüdische politische Selbstbehauptung“ manifestiere. Walzer thematisiert hier ein Problem, das im modernen Antisemitismus, in den politischen Stellungnahmen, aber auch in der Antisemitismusforschung von Bedeutung ist: die Verweigerung, Juden als (politisch) handelndes Subjekt und damit als gleichberechtigten Partner in der Geschichte wie auch in der aktuellen Politik aufzufassen.
Walzer legt dar, dass im Falle der antizionistischen Bewegungen diese Ablehnung im Zeitalter der nationalstaatlichen Weltordnung (in der wir uns trotz aller Globalisierung noch immer befinden) die Verweigerung der Nationalstaatlichkeit im Falle der Juden bedeutet. Wenn der kommunistische Antinationalismus auch in der Konfrontation zum Zionismus entwickelt wurde, wie Walzer anmerkt, aber danach „nur auf die Juden angewandt [wurde, d. V.], nicht etwa auf Algerier oder Vietnamesen“, dann wurden alle anderen nicht nur „entschuldigt, […] Staatlichkeit anzustreben und sich dafür zu engagieren“, sie wurden auch – anders als Juden – in die Gemeinschaft der Gleichen, in diesem Fall der politisch handelnden Subjekte aufgenommen.
Im Jahre 1969 hat Jean Amery in seinem brillanten Essay „Der ehrbar Antisemitismus“ (Die Zeit 25. Juli 1969; http://www.zeit.de/1969/30/der-ehrbare-antisemitismus/komplettansicht) den Antizionismus analysiert. Der Antizionismus, der als alles vertuschender Mantel von der Linken gebraucht wurde und wird. 1969 war bei Amery noch die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und dessen Antizionismus von Bedeutung. Der Kommunismus ist als Machtfaktor verschwunden – der Antizionismus der Linken, der zum Teil radikal antisemitisch ausfällt, ist geblieben. Die Bilder und Vorverurteilungen, die bis hin zur verstörenden Politik der UNO gehen, mit denen der Antizionismus zum Antisemitismus wird, haben sich weitertradiert, durch die Jahre und Generationen. Amery schreibt: „Ein Glück, dass für einmal der Jude nicht verbrannt wurde, sondern als herrischer Sieger dastand, als Besatzer“. Indem der Staat Israel zum „Unrechtsstaat“ erklärt wird und Israel – wie z.B. im Falle der UNO - beinahe pausenlos an den Pranger gestellt und verurteilt wird, wird „der Jude“ an sich wieder angreifbar. Fakten spielen dabei keine Rolle. Von Bedeutung sind die wiederholten Vorwürfe auf der einen Seite und die Verweigerung der Hinterfragung der politischen Haltung auf der anderen Seite (siehe PLO, Hamas). Auch Förderungen, Subventionen können antisemitisch sein. Amery schreibt „Fest steht: der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar“ – und fordert die Linke auf, redlicher zu sein, denn es gebe keinen ehrbaren Antisemitismus. Wie gesagt, Jean Amery schrieb dies im Jahre 1969 – die Linke ist bis heute nicht imstande, diese Redlichkeit zu leben.
Amery zitiert am Ende seines Essays den berühmten Satz von Jean-Paul Sartre über den Kern des Antisemitismus, der kein Wenn und Aber zulässt: „Was der Antisemit wünscht und vorbereitet, ist der Tod des Juden.“
1 Der Textteil, der sich mit Walzer beschäftigt basiert auf meinen Ausführungen in: „Von Opfern, Tätern und jenen dazwischen. Wie Antisemitismus die Zweite Republik mitbegründete“ (mandelbaum verlag 2016). Er wurde mit jenem Teil, der sich auf Amery bezieht, ergänzt.